Author
Kris DesselPublishers
APE (Art Paper Editions)Info
48 pages
2015
240mm × 230mm
Softcover
ISBN
9789490800307
of 5
Einmal im Monat während der Renovierung von De Garage sammelte Kris Van Dessel eine Probe von Schutt von der Baustelle. Im Zeitraum von März 2013 bis Dezember 2014 nahm er insgesamt 22 Proben, die er sorgfältig filterte und akribisch in chronologischer Reihenfolge in seinem Atelier, ihrem vorübergehenden Ruheort, aufbewahrte. Diese wurden in transparenten Behältern konserviert, die eine gestapelte Darstellung gedämpfter Erdfarben bildeten, welche die geologischen Schichten des allmählichen Fortschritts der Renovierung zeigten. Der entstehende Stapel hätte in einer archäologischen Forschungseinrichtung nicht fehl am Platz gewirkt. Die subtile Präsenz des Künstlers mitten im ganzen Treiben der Baustelle muss ziemlich unauffällig erschienen sein. Diese eng rhythmisierte Abfolge von Handlungen manifestiert sich in der Einzelausstellung Sampled History, in der der Künstler die Proben mit einer einfachen, geo-künstlerischen Geste in den Ausstellungsraum überführt hat. Er mischt jede Materialprobe mit einer bestimmten Menge Wasser und trägt diese Emulsionen in einer Syntax aufeinanderfolgender, chronologischer Schichten an die Wände des Ausstellungsraums auf.
Sampling bedeutet, ein charakteristisches Stück einer anderen Schöpfung zu entlehnen, mit der Absicht, es in die eigene Arbeit zu integrieren. Das Prinzip wurde erstmals Mitte des 20. Jahrhunderts in der französischen Musikbewegung Musique Concrète beobachtet, bei der vorhandene Klänge in Klangcollagen eingebaut wurden. Etwas Ähnliches lässt sich hier in diesem Kontext beobachten. Durch die schematische, geologische Darstellung des Renovierungsprozesses werden die Narben früherer künstlerischer Produktionen in der Epidermis des Ausstellungsraums sichtbar gemacht. Die Archäologie der kulturellen Produktion in De Garage wird vom Künstler nach und nach enthüllt. Diese Intervention erinnert an eine Erinnerung – wenn auch invertiert – an Pierre Huyghes Interventionsstück „Timekeepers“. Hier macht die Schicht-für-Schicht-Freisetzung ausgelöschter Präsentationen in der Wandfarbe Platz für Van Dessels forensische Spurensuche über die Wandoberfläche. Die sorgfältig aufgetragenen Pigmente werden nach einer gewissen Trocknungszeit, die das Verdampfen des hinzugefügten Wassers erlaubt, fachmännisch weggebürstet. Charakteristisch für Van Dessels jüngste Arbeit ist das wiederkehrende Prinzip, die in seinem künstlerischen Prozess verwendeten Rohmaterialien vollständig der Erde zurückzugeben. Die Substanzen kehren zu ihrem Ursprung zurück – wie eine Feldaufnahme, die an dem Ort abgespielt wird, an dem sie aufgenommen wurde.
Die Arbeit von Kris Van Dessel lässt sich nicht als eine Reihe hergestellter Artefakte kategorisieren, die an einen Ausstellungsraum gebunden oder darin positioniert sind. Seine Arbeit lässt sich besser als Querschnitt von Entdeckungen beschreiben, die greifbar gemacht wurden – die Ergebnisse poetisch-künstlerischer Forschung, hier als Denkanstoß für den Betrachter präsentiert. Neben den Renovierungsarbeiten, die die Architektur der Räume grundlegend verändert haben, hat Kris Van Dessel mit äußerster Diskretion einen parallelen Raum geschaffen, der den etablierten Zeit-Raum-Kontinuum durchbricht. Es ist wunderbar, sich in seiner Arbeit zu verlieren, das heißt, sobald man sich durch die formale, syntaktische Spur aufeinanderfolgender, chronologischer, zweidimensionaler Schichten gewunden hat; erreicht man das Licht am Ende des Wurmlochs, ist man frei, über das Nachgedachte und das Mögliche in der Zukunft des sicheren Hafens Kunst zu reflektieren – jetzt sicherlich wichtiger denn je.
‚(…) Mit anderen Worten, das Ganze wahrzunehmen bedeutet, die Fragmente zu verschieben.‘ Robert Smithson. (Beatrijs Eemans)